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Handwerk ist gelebte Leidenschaft
“So, dann füllst Du hier noch Brot auf – und da, den Kuchen, bitte ein bisschen netter anrichten!“ Es ist kurz nach elf, Interviewtermin. Mickel Biere ist in seinem Element. Die randlose Brille auf den Kopf gesteckt, den Freisprechhörer noch im Ohr, ist er direkt vom Firmenbulli ins Geschäft gesprungen. Hat den Journalisten noch nicht gesehen, der die Gunst der Stunde nutzt, sich anschleicht und ein paar Fotos macht. Jetzt aber. Ein schelmisches Schmunzeln, bevor er sich neben seine Mitarbeiterin stellt und sie beide in die Kamera lachen. „Hier, die Maske, in Biere-grün“ freut sich der Chef.

Kategorie

Text, Foto, Content Marketing

Kunde

Agentur, B2C

Jahr

2021

„Wollen wir?“ Wir wollen. Auf dem Weg zum Interviewtisch deutet er auf einen Fleck auf seinem Poloshirt. Wäre jetzt ja nicht ideal. Ihn beruhigt, dass man dies hinterher auf dem Foto nicht sieht. Dann sitzen wir. Mir gegenüber sitzt Mickel Biere, Bäckermeister und Inhaber von Biere Brot, einer der Detmolder Traditionsbäckereien, die kurz vor dem Übergang in die vierte Generation steht.

Kreishandwerksmeister, Obermeister der Bäcker- und Konditoreninnung, Gründer von Lippe Qualität, Vorstand im Lions Club, Kuratoriumsmitglied verschiedener Stiftungen zu Ausbildung und Handwerk, und nicht ganz nebenbei Geschäftsführer von fünf Filialen und Chef von 35 Mitarbeitenden. Und ein durch und durch fröhlicher und offener Mensch – von Stress keine Spur. „Man muss eben sehen, dass man gewisse Veränderungen mitmacht“, so Biere. „Entweder man geht mit der Zeit oder man geht mit der Zeit.“

Er habe einfach sein Hobby zum Beruf gemacht, lacht er und nimmt einen Schluck Kaffee. „Ich könnte mir nichts schöneres vorstellen.“ Man spürt und sieht, dass dies kein bisschen übertrieben ist.

Wie war es, in einer Bäckerfamilie aufzuwachsen? Mickel Biere grinst. „Ganz normal, ich kenne ja nichts anderes. Mein Alltag betraf Backwaren von A-Z, den ganzen Tag über.“ Die Familie hat früher über dem Geschäft gewohnt, es war also für den kleinen Mickel ein Teil seines Zuhauses. „Ich fand es eine spannende Kindheit. Ich habe als kleiner Junge auf einer umgedrehten Getränkekiste gestanden und Teig in die Maschine geworfen, weil ich sonst nicht drankam“ lacht der gestandene Bäckermeister. Ganz offensichtlich eine schöne Erinnerung.

Schön früh sei klar gewesen, dass er einmal das Geschäft übernehmen sollte. „Da gab es keine Diskussion, ich war aber auch immer einverstanden, weil es meine Leidenschaft war“, nickt Biere, der seine Kaffeetasse noch vor dem nächsten Schluck wieder abstellt. „Und noch ist!“

Nach der Konditorenausbildung folgte die zum Bäcker. Teils im väterlichen Betrieb, teils woanders, was damals noch eine Besonderheit war. Die verschiedenen Eindrücke seien jedoch wichtig gewesen. Vor der Meisterprüfung war Mickel Biere dann noch in Frankreich unterwegs. „Eine sehr wichtige Zeit. Da habe ich gelernt, Baguette zu machen. Und Croissant. Das kannte hier in Lippe noch keiner.“

Und die andere Liebe?

Die begann in Heiligenkirchen. Susanne wohnte auch im Ort und arbeitete bei der Bank. „Ihr hat das dann hier aber auch gleich Spaß gemacht“ überlegt Mickel nicht lang und nickt bestimmt. Was er nicht gemerkt hat: seine Frau hat sich soeben hinter ihn gestellt und lauscht mit schelmischem Blick. „Ich hatte einfach keine Wahl!“ lacht sie dann und legt eine Hand auf Mickels Schulter, der gehörig erschreckt. „Du sollst nicht lauschen!“ protestiert er.

Das mit der fehlenden Wahl ist aber gar nicht so übertrieben, erklärt Susanne und erzählt etwas, das aus heutiger Sicht empört: „Es gab früher schlicht keine Teilzeitstellen im Bankensektor, sonst wäre ich nochmal zurückgegangen. Mit dem ersten Kind war ich raus.“ Wobei sie die drei Kinder immer an erster Stelle sah, betont Susanne. Sie habe sich nie jemanden für die Kinderbetreuung geholt. Und hätte festgestellt, dass sie sich in der Bäckerei sehr wohl fühlt.

Ausgleich sucht der Vielbeschäftigte im Radsport, im Fitnessstudio oder auf dem Mountainbike. „Beim Fahrradfahren kommen mir die besten Ideen“ betont er und gibt sein markantes Lachen zum Besten, für das man ihn kennt. Und sonst? „Ich sammele keine Briefmarken“, schmunzelt Mickel Biere. „Wenn ich Ideen habe oder mich kreativ ausleben möchte, dann gehe ich in die Backstube. Ich lebe den ganzen Tag mit meinem Beruf und für meinen Beruf – und bin´s auch nicht leid geworden.“ Das können wohl nicht alle von sich sagen.

Die Leidenschaft für den Beruf

Viel, was bisher anklang, hat mit Lust zu tun, mit Freude, Leidenschaft. Ein Handwerk wie das des Bäckers auszuüben, ist kreativ, im wahrsten Sinne handgreiflich. Man schafft Dinge, an denen sich andere erfreuen. Das gilt natürlich nicht nur für den Bäcker, sondern eigentlich für alle Handwerker. Und doch sind Fachkräfte rar.
Hier schlägt das Herz des Kreishandwerksmeisters, das spürt man gleich. „Es ist so traurig mitanzusehen, wie viele Jugendliche an die Unis oder Fachhochschulen abwandern, anstatt einen handwerklichen Beruf zu lernen.“ Das bedauere er sehr. „Viele stranden dann einfach, fangen dies und jenes an und brechen wieder ab, haben irgendwann eine feste Partnerschaft oder sogar schon Nachwuchs. Die kommen dann nicht mehr in die Ausbildung und sind für uns verloren.“

Bäcker, Fleischer, Gas- und Wasserinstallateure, Dachdecker, Zimmerleute. Alle haben massive Nachwuchsprobleme. „Und selbst wenn jemand mit Abitur kommt, der danach an die Uni will – der hat aber über die Ausbildung dann wenigstens mal reingeschnuppert ins Handwerk. Und“ – mit erhobenem Finger – „die Ausbildung dauert dann ja nur zwei statt drei Jahre. Und dann wird hinterher noch etwas angerechnet. Das wissen viele aber nicht.“

Ein Problem wäre natürlich die Bezahlung, hier könnten viele handwerkliche Ausbildungsberufe mit Banken und Versicherungen nicht mithalten. Biere beugt sich ein wenig vor. Was jetzt kommt, ist ihm wichtig. Eigentlich sollte im Handwerk jeder Auszubildende in jedem Gewerk den gleichen Lohn bekommen, betont er. „Mit der Forderung stehe ich aber ziemlich allein.“ Und warum sollte das so sein? „Um die Spannung rauszunehmen, dass sich die Jugendlichen einfach das Gewerk oder den Betrieb raussuchen, wo sie am meisten bekommen. Ohne sich wirklich Gedanken darüber zu machen, ob sie das eigentlich wollen.“

Bei vielen Berufen mangelt es schlicht am Image. „Ein Bäcker kann nicht erst um sieben Uhr anfangen und Schlips und Anzug tragen. Und er wird nun mal schmutzig, und das wollen viele nicht.“ Und dabei seien die Handwerksberufe an Kreativität und Vielfalt durch nichts zu toppen. „Hier sind die Jugendlichen vom ersten Tag an voll dabei. Überall. Schaffen etwas mit den Händen. Direkt Vollgas“, strahlt Mickel Biere. Da funkelt nicht nur der Kreishandwerksmeister, sondern auch jemand, der seine Begeisterung gerne weitergibt.

Als Bäcker an die Uni?

Es gibt mittlerweile viele weiterführende Studiengänge und Möglichkeiten, sich nach der eigentlichen Ausbildung weiterzubilden. Sein Ältester, Nicolas, der sich auch für das Bäckerhandwerk entschieden hat, konnte zum Beispiel ein triales Studium ablegen: mit gerade mal 26 Jahren war er Bäckermeister und hatte einen Bachelor in Handwerksmanagement erlangt. Also Ausbildung im Betrieb und Studium an der Fachhochschule des Mittelstands. Ein noch relativ neues Konzept, das gezielt aufgestellt wurde, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Das sei wunderbar, so der Kreishandwerksmeister – und eine gelungene Kombination. Denn ganz ohne Zeit im Betrieb geht es seiner Meinung nach nicht.

„Im Gespräch ist zum Beispiel eine vollschulische Ausbildung für Tischler. Also gar nicht mehr im Betrieb. Das halte ich nicht für eine gute Sache. Das Handwerk muss am Objekt gelernt werden.“ Biere schüttelt den Kopf und schaut kurz über seine Schulter ins Treiben seiner Bäckerei. „Die Jugendlichen bekommen dann gar nichts mehr vom Kundengeschäft mit, vom Druck, unter dem man manchmal steht – und der kann ja durchaus spannend und kreativ sein! Die lassen dann Freitag Mittag ihren Hammer fallen, egal ob das Stück fertig ist oder nicht.“ Man spürt, dass es ihm ernst ist. „Och, wir machen mal dreißig Brötchen und 5 Brote backen, um es zu lernen. Das kann ich im Betrieb nicht sagen. Da bekomme ich von jetzt auf gleich eine große Bestellung rein, und die muss pünktlich fertig sein. Da nehmen wir unsere Auszubildenden vom ersten Tag an mit.“

Ein Problem ist die Abbruchquote im Handwerk. Besonders beim Bäcker kommt das frühe Aufstehen dazu. Werktags um drei Uhr morgens, Samstags sogar um ein Uhr, das kann nicht jeder, und so mancher merkt das erst mittendrin. Wobei es den jungen Leuten auch zu einfach gemacht wird, meint Biere. „Auf jeden Auszubildenden kommen ja drei bis vier Stellen, aus denen er aussuchen kann. Viele Auszubildende bewerben sich dann beim Bäcker, beim Gas- und Wasserinstallateur und beim Dachdecker. Und dann gibt man jemandem den Zuschlag und erfährt, dass er jetzt aber Elektriker wird. Das gab es früher so nicht.“ Auch habe es früher mehr Druck von zuhause gegeben, die Ausbildung zu Ende zu führen.

Auch das Alter könne zum Problem werden, meint Biere. „Wenn jemand mit über zwanzig kommt, braucht der schon relativ viel Geld, hat ein Auto, ist spät abends in der Disco unterwegs. Einen Siebzehnjährigen kann ich noch eher formen.“

Ein ehrenamtliches Engagement an einer Berufsschule, im Meisterprüfungsausschuss, in Ausbildungsstiftungen: das Thema lag Mickel Biere immer schon am Herzen. „Mir ging es immer darum, dass die Ausbildungsstandards genau angeschaut werden. Wo können wir besser werden, was können wir noch tun?“ Deswegen hat die Bäckerei Biere auch schon immer Auszubildende gehabt, im Moment zwei.

Wie geht es weiter mit dem Handwerk? Mickel Biere überlegt kurz. „Ich weiß es nicht, wie es wird, wenn wir noch weniger Fachkräfte haben. Ich weiß aber, dass das Handwerk die schönsten Berufe der Welt unter sich vereint“. Da ist es wieder, das charakteristische Lachen, als er sich zurücklehnt: „Handwerk ist gelebte Leidenschaft.“

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