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Gender-Gerechtigkeit: „Gläserne decken beseitigen“

In der Schweiz und in Deutschland liegt der geschlechtsspezifische Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern bei fast 20 Prozent. Eine Pilgerinitiative macht dafür stark, gemeinsam für einen gesellschaftlichen Wandel zu kämpfen.

Kategorie

Text, Journalismus

Kunde

Nonprofit

Jahr

2022

Mit Forderungen nach der Überwindung von Geschlechterklischees und tradierten Rollenbildern ist am 1. Februar in Berlin die bundesweite Initiative für Geschlechtergerechtigkeit „Go for Gender Justice“ eröffnet worden. Die Juristin Elke Büdenbender rief Frauen und Männer dazu auf, gemeinsam für einen gesellschaftlichen Wandel zu kämpfen.

Geschlechtergerechtigkeit sei nie ein „Selbstläufer“ gewesen, sagte die Juristin Frau des deutschen Bundespräsidenten Büdenbender laut Medienmitteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD. Kulturelle Spielregeln müssten in allen Bereichen verändert werden – in Parlamenten und Parteien, Konzernen und Betrieben, in Wissenschaft, Kultur und Medien und auch in Gotteshäusern. Gleichberechtigte Teilnahme, Teilhabe und Einfluss für alle sollten Wirklichkeit werden, verlangte Büdenbender. Die Schieflage zwischen den Geschlechtern solle begradigt werden.

Bei den Pilgeretappen wollen Engagierte aus der evangelischen Kirche und zivilgesellschaftlichen Gruppen laut Mitteilung den Einsatz für mehr Geschlechtergerechtigkeit gemeinsam auf die Straße tragen. Im Mittelpunkt stehen demnach die Themenbereiche „Arbeit, Macht und Einfluss ‚fair teilen‘“, „Abwertung und Gewalt überwinden“ und „Vielfalt anerkennen“. Die Ideen für mehr Gerechtigkeit und Abbau von Diskriminierung sollen in die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im September in Karlsruhe eingebracht werden.

Im Blick auf Wirtschaft und Gesellschaft erklärte Büdenbender, es gehe darum, Macht gerechter zu verteilen, gläserne Decken zu beseitigen und Positionen paritätisch zu besetzen. Frauen sollten den digitalen Wandel mitgestalten und dieses Feld nicht einigen Wenigen, vor allem Männern überlassen. Die Betreiber Sozialer Netzwerke rief die „First Lady“ dazu auf, sich am Kampf gegen Hass und Hetze stärker zu beteiligen. Büdenbender begrüßte ausdrücklich die gesellschaftliche Vielfalt im Blick auf Familienmodelle, andere Lebensgemeinschaften und sexuelle Orientierungen.

Trägerin von „Go for Gender Justice“ ist laut Mitteilung die Konferenz der Genderreferate und Gleichstellungsstellen in den evangelischen Landeskirchen, für die das Referat für Chancengerechtigkeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Geschäftsführung innehat.

Situation Deutschland

Im Jahr 2020 betrug der geschlechtsspezifische Verdienstunterschied in Deutschland 18 Prozent. Dabei variiere er stark zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen, so die Evangelische Kirche in Deutschland auf ihrem Portal „Go for Gender Justice“. Es gebe keinen einzigen Wirtschaftszweit, in welchem Frauen im Durchschnitt mehr verdienten als Männer. Der bereinigte Lohnunterschied, also ohne Beschäftigungsumfang, Bildungsstand, Berufserfahrung oder Führungsanteil, beträgt der Unterschied 6 Prozent.

Auch beim Zeitaufwand von Männern und Frauen für unbezahlte Sorgearbeit tut sich eine Lücke auf. Bei Paaren ohne Kinder leisten Frauen knapp 36 Prozent mehr dieser Care-Arbeit, bei Paaren mit Kindern sogar 84 Prozent mehr. Insgesamt besteht laut EKD eine Lücke von 52,4 Prozent, die Frauen mehr leisten als Männer.

Auch im öffentlichen Leben seien Frauen unterrepräsentiert, so die EKD. In Dax-Vorständen gibt es demnach nur 13 Prozent Frauen, in den Aufsichtsräten 33 Prozent. Im 2021 gewählten Bundestag seien 34 Prozent der Abgeordneten Frauen. Auch auf Länderebene seien die Anteile ähnlich niedrig.

Situation Schweiz

Zwischen 2014 und 2018 haben die Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männern in der Schweiz von 18,1 auf 19 Prozent zugenommen, so das Bundesamt für Statistik BFS. Knapp die Hälfte dieser Unterschiede seien unerklärt – durchschnittlich mehr als 600 Franken im Monat.

Die Lohnunterschiede seien teilweise auf strukturelle Faktoren wie das Bildungsniveau, die Anzahl Dienstjahre oder die Ausübung einer Führungsfunktion zurückzuführen, so das BFS in einer Medienmitteilung. 45,4 Prozent der Lohnunterschiede seien jedoch unerklärt. Weiter liesse sich feststellen, dass die Lohndifferenz deutlicher ausfalle, je höher die Kaderfunktion sei.

Die Lohnpyramide spiegelt gemäss Statistik teilweise die Unterschiede bezüglich beruflicher Eingliederung und ausgeübter Tätigkeit. 2018 waren demnach in der Gesamtwirtschaft 60,9 Prozent der Arbeitnehmenden, deren monatlicher Bruttolohn für eine Vollzeitstelle unter 4000 Franken lag, Frauen. Am oberen Ende der Lohnpyramide waren 81,2 Prozent der Arbeitnehmenden mit einem monatlichen Bruttolohn von mehr als 16000 Franken Männer.

Der unerklärte Anteil der Bruttolohndifferenz entsprach laut BFS 2018 im privaten Sektor durchschnittlich 684 Franken pro Monat, gegenüber 657 Franken im Jahr 2016. Er variiere je nach Wirtschaftszweig stark, so das BFS. Im Gastgewerbe entsprach der unerklärte Anteil im Durchschnitt 196 Franken pro Monat (48,7 Prozent). Im Detailhandel waren es monatlich 624 Franken (57,4), in der Maschinenindustrie 931 Franken (53,5) und im Kredit- und Versicherungsgewerbe 1324 Franken (30,8). Im öffentlichen Sektor belief sich der unerklärte Anteil der Lohndifferenz auf 602 Franken pro Monat.

Insgesamt lasse sich feststellen, dass der unerklärte Lohnunterschied in Kleinunternehmen ausgeprägter sei, so das BFS. Dieser lag 2018 in Unternehmen mit weniger als 20 Arbeitnehmenden bei 57,5 Prozent, während es bei den Unternehmen mit mindestens 1000 Arbeitnehmenden 31,5 Prozent waren.

Mit steigender Hierarchiestufe im Unternehmen werde der unerklärte Anteil der Lohnunterschiede kleiner, heisst es weiter. Im oberen Kader beliefe er sich auf 45,1 Proeznt und bei den Arbeitnehmenden ohne Führungsfunktion auf 75,9 Prozent.

Zum Internationalen Frauentag am 8. März 2021 veröffentlichte die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF ein Poster mit Daten und Fakten zur Gleichstellung und warf einen Blick in die Zukunft.

Die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen im Jahr 1971 legte in der Schweiz den Grundstein für die Gleichberechtigung der Geschlechter, so die EKF in einer Medienmitteilung. Sie bildete den Beginn einer bis heute anhaltenden Entwicklung.

Der Weg der Frauen zu gleichen Rechten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sei lang und habe viel Kampfgeist und Geduld erfordert, so die Kommission. Bis zur Verankerung der Gleichstellung in der Verfassung habe es nochmals 10 Jahre gedauert. Weitere 15 Jahre seien nötig gewesen, bis die Gleichstellung im Erwerbsleben 1996 ins Gesetz geschrieben worden sei. Erst ab 1988 seien Frau und Mann in der Ehe gleichberechtigt gewesen und erst im Jahr 2004 habe die Schweiz eine Mutterschaftsversicherung erhalten, sowie 2020 einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub.

Heute sei die rechtliche Gleichstellung grösstenteils erreicht, doch hinsichtlich der tatsächlichen Gleichstellung bleibe viel zu tun. Gleiche Teilhabe in Entscheidungspositionen, gleiche Löhne, eine Elternzeit als Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle Geschlechter, ein Leben frei von Sexismus, Gewalt und Rollenstereotypen. Für all das brauche es weiterhin das Engagement von Frauen und Männern in Politik und Gesellschaft.

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