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Die Istanbul-Konvention zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen steht unter Druck
Seit April 2018 gilt in der Schweiz die Istanbul-Konvention. Sie ist europaweit das erste bindende Instrument, das Frauen und Mädchen umfassend vor jeglicher Gewalt, inklusive häuslicher Gewalt, schützt. Doch die Konvention steht europaweit unter Druck. Corona ist einer von mehreren Gründen dafür.

Kategorie

Text, Journalismus

Kunde

Nonprofit

Jahr

2020

Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sind in auch der Schweiz ein gravierendes Problem, betonte vor einiger Zeit das Eidgenössische Gleichstellungsbüro. 2018 wurden demnach täglich 11 Personen, 9 davon Frauen und Mädchen, in ihrer sexuellen Integrität geschädigt. Über 40% der Kinder und Jugendlichen werden geschlagen, mehr als 20% erleiden schwere Gewalt durch die Faust oder einen Gegenstand. Jährlich sind rund 27’000 Kinder und Jugendliche bei Gewalt in Paarbeziehungen mitbetroffen. Und jedes Jahr sterben 25 Menschen, darunter auch Kinder, an den Folgen häuslicher Gewalt. Rund alle zwei Wochen endet häusliche Gewalt tödlich.

Schutz ist nötig. Ein Mittel dazu ist die sogenannte Istanbul-Konvention. Das 2011 in Istanbul unterzeichnete Übereinkommen des Europarates ist das erste bindende Instrument, das Frauen und Mädchen vor jeglicher Gewalt, inklusive häuslicher Gewalt, schützt. Die Konvention ist das umfassendste internationale Abkommen, das sich die Bekämpfung dieser Art von Menschenrechtsverletzungen zum Ziel setzt, heisst es seitens Europarat. Eckpfeiler sind die Bereiche Gewaltprävention, Opferschutz, Strafverfolgung und ein integrativer Politikansatz.

Die Konvention hat das Ziel, physische, psychische und sexuelle Gewalt gegen Frauen europaweit auf einem vergleichbaren Standard zu verhüten, zu bekämpfen und zu verfolgen. Das gilt auch für Stalking, Zwangsheirat, die Verstümmelung weiblicher Genitalien sowie Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisation. Die Schweiz hat die Konvention ratifiziert. Damit hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, umfassende Massnahmen gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu treffen und dem Europarat regelmässig darüber Bericht zu erstatten.

Die Istanbul-Konvention in der Schweiz

Die Istanbul-Konvention ist 2018 in der Schweiz in Kraft getreten. Anpassungen am Gesetz waren praktisch keine nötig. Gewalt am Partner wird bereits seit 2004 juristisch verfolgt. Die Schweiz habe heute gute Gesetze, leider hapere es aber sehr bei deren Anwendung, so Susan Peter von der Dachorganisation Frauenhäuser in der Schweiz seinerzeit im Interview mit dem SRF. Nachholbedarf gebe es vor allem im Opferschutzbereich. So hätten beispielsweise die Frauenhäuser zu wenig Geld zur Verfügung. Schutzsuchende müssten die Häuser nach drei Wochen wieder verlassen. Dies reiche oft nicht, um einen Weg aus der misslichen Lage zu finden, in der die Frauen sich befänden.

Das Netzwerk Istanbul Konvention fordert entsprechend eine konsequente, diskriminierungsfreie und inklusive Umsetzung des Abkommens. Mehr als 40 NGOs und Fachstellen haben sich zum diesem Netzwerk zusammengeschlossen. Die Konvention sei ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Mädchen. Ungleiche Rechte führten zu ungleicher Behandlung und Gewalt, so das Netzwerk.

Noch hätten jedoch in der Schweiz nicht alle Betroffenen von Gewalt den gleichen Zugang zu Unterstützung, Schutz und Strafverfolgung. So seien viele Angebote nicht barrierefrei, es fehle an einer adäquaten Unterstützung von Betroffenen sexualisierter Gewalt und Migrantinnen riskierten, ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren, wenn sie sich aufgrund von Gewalt trennten.

Schattenpandemie häusliche Gewalt

Erst kürzlich warnte Amnesty International davor, dass die Corona-Pandemie weltweit zu mehr Gewalt gegen Frauen und Mädchen führe. Viele seien mit den Misshandelnden eingeschlossen gewesen oder hätten keinen ungesicherten Zugang zu Unterstützungsleistungen. So hätten die Vereinten Nationen im vergangenen Monat vor einer “Schattenpandemie” des globalen Anstiegs an häuslicher Gewalt im Schlepptau von Covid-19 gewarnt, so Amnesty in einem Kommentar des Europa-Direktors Nils Muižnieks.

Eine Gefahr für Initiativen wie die Istanbul-Konvention droht noch von einer anderen Seite. In Ländern wie Bulgarien, Ungarn und Tschechien wehrten sich konservative, christliche und rechtsradikale Kräfte gegen die Konvention. Ihr Argument: Die Unterschiede der Geschlechter würden damit verwischt, erklärt Rosa Lugar, Mitglied der Expertengruppe, die die Umsetzung der Konvention überwacht. In Europa etabliere sich ein Backclash, also eine Strömung, die zum Beispiel die Gleichstellung von Frau und Mann grundsätzlich anzweifelten.

Europa im Backclash

Beispielhaft in Polen könne die Lage noch gefährlicher werden, nachdem das Land angekündigt habe, sich aus der Istanbul-Konvention zurückzuziehen. Dieser Schritt wäre ein Signal dafür, dass die persönliche Sicherheit und das Wohlergehen von Millionen Frauen und Mädchen nicht wert seien, geschützt zu werden, so Amnesty. Es wäre zudem ein rückwärts gerichteter Schritt, etwas, das in internationalen Menschenrechtsnormen verboten sei.

Im Jahr 2019 haben laut Meldung mehr als 65000 Frauen und 12000 Kinder Vorfälle häuslicher Gewalt angezeigt oder wurden zu Betroffenen von häuslicher Gewalt erklärt. Nur in 2527 Fällen wurden demnach Ermittlungen wegen Vergewaltigung aufgenommen.

Polen sei jedoch keine Ausnahme, so Amnesty. Seit Beginn von Covid-19 verzeichneten die Notrufe und Frauenhäuser in ganz Europa einen alarmierenden Anstieg der Anrufe von Frauen, denen aufgrund des Lockdowns und anderer restriktiver Massnahmen Gewalt drohe.

Die Istanbul-Konvention sei der erste europäische Vertrag, der die Eindämmung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zum Thema habe. Die grosse Mehrheit der europäischen Staaten habe die Konvention unterzeichnet, in manchen Ländern stehe jedoch der Wunsch, sich aus der Konvention zurückzuziehen, weit oben auf der Agenda.

Die Welle der häuslichen Gewalt während der Covid-19-Pandemie zeige deutlich, dass die Regierungen weltweit den Schutz für die Rechte von Frauen und Mädchen stärken müssten.

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