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Schweizer NGOs werden öfters “strategisch” verklagt
Klagen und Klagedrohungen durch Unternehmen wirken sich verstärkt negativ auf die Arbeit von Schweizer NGOs aus, zeigt eine aktuelle HEKS-Analyse.

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Jahr

2022

Sogenannte Strategic Lawsuits against Public Participation, kurz SLAPPs, vorgenommen durch Unternehmen und Potentaten, haben laut einer Analyse des HEKS in den letzten Jahren gegen Schweizer NGOs stark zugenommen, so Alliance Sud in einer Medienmitteilung. Dies wirke sich verstärkt negativ auf die Arbeit der Hilfswerke aus.

Die Klagen oder Klagedrohungen würden als strategisches Druckmittel gegen NGOs genutzt, um sie bei ihren Recherchen über menschenrechtsverletzende oder umweltverschmutzende Unternehmenstätigkeiten zu schwächen.

Ziel sei es, die Kritik in der Öffentlichkeit einzudämmen, so das Faktenblatt des HEKS dazu. Dieses Phänomen reihe sich ein in den weiterreichenden Trend des „shrinking space for public participation“, bei welchem Machthabende gezielt Kritikerinnen und Kritiker und ihre Publikationen zu unterdrücken versuchten.

Bereits sechs von elf befragten NGOs sind von Klagen durch multinationale Unternehmen und Potentaten betroffen, so die Mitteilung. Dabei handele es sich bei den meisten NGOs sowohl um zivilrechtliche als auch um strafrechtliche Verfahren. 11 der 12 Klagen seien seit 2018 eingereicht worden. Keine der untersuchten Klagen ist laut Faktenblatt gerichtlich entschieden. Drei wurden durch Einigung beendet, neun sind im laufenden Verfahren.

Alles läuft meist nach dem gleichen Schema ab, so die Untersuchung. Die NGO veröffentliche einen Bericht oder eine Studie, die ein unmoralisches, schädigendes oder illegales Verhalten eines Unternehmens ans Licht bringe. Meist würden diese vorab über die Anschuldigungen informiert und um eine Stellungnahme gebeten.

Während einige Unternehmen auf den Dialog eingingen, wählten andere die Konfrontation. Sie drohten mit juristischen Schritten oder verlangten die Nichtveröffentlichung des Berichts. Jedoch könnten Unternehmen meist keine tatsächlichen Mängel am Bericht beweisen. Sie griffen dann zur Einreichung der Klage, da sie dieses als Mittel sehen, um NGOs einzuschüchtern, so das Faktenblatt.

Der Handlungsspielraum für NGOs werde durch Klagen und Klagedrohungen immer kleiner und erschwere die Arbeit als Menschenrechtsverteidiger, so die Mitteilung weiter. So entstünde unter anderem ein hoher zusätzlicher Aufwand durch externe Anwältinnen und Anwälte, um sicherzustellen, dass keinerlei Formulierungen fälschlicherweise als Verleumdungen interpretiert werden könnten. Dies verursache zusätzliche Kosten.

Eingereichte zivilgesellschaftliche Klagen stellten im Falle einer juristischen Niederlage für die NGO ein sehr grosses finanzielles Risiko dar, da die unterliegende Partei für sämtliche Gerichts- und Anwaltskosten aufkommen müsse. Dabei könnten die finanziellen Kräfteverhältnisse zwischen einem Milliardenunternehmen und einer NGO kaum ungleicher sein.

Unternehmen seien sich dieser ungleichen finanziellen Ausgangslage bewusst, trieben die Kosten durch die Beauftragung von Anwältinnen und Anwälten mit exorbitant hohen Honoraren weiter in die Höhe und nutzten dies aktiv als Druckmittel und Einschüchterungstaktik, damit die NGOs einlenkten. Die Unternehmen wollten, dass Berichte nicht veröffentlicht oder Passagen abgeändert würden oder dass Schadensersatz für finanzielle Verluste durch den Imageschaden von der NGO gezahlt werde.

Kritische Publikationen und Recherchen seien das Kerngeschäft der NGOs und gehörten zu ihrem Mandat des public watchdog in der Gesellschaft, so die Mitteilung. Wenn Berichte über umweltverschmutzende oder menschenrechtsverletzende Unternehmenstätigkeiten systematische Mängel an die Oberfläche brächten, seien Unternehmen gezwungen, ihr Verhalten in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen und allenfalls zu ändern.

Es sei deshalb essenziell, dass Klagen und Klageandrohungen nicht die vom Absender gewünschte Wirkung erzielten und die NGOs sich nicht einschüchtern liessen. Ausserdem sei es wichtig, als NGO möglichst laut gegen Klagen und Klagedrohungen vorzugehen und sie öffentlich als strategisches Druckmittel des Unternehmens zu enttarnen.

In der EU bald verboten?

Die EU-Kommission will die SLAPP-Klagen nun unterbinden. Ein wesentliches Element sei das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen Klägern und Beklagten, heisst es dazu aus der Kommission. So will die EU nun eine Richtlinie verabschieden, die grenzüberschreitende SLAPP-Klagen künftig unterbinden soll.

Gerichte sollen offensichtlich unbegründete Fälle bereits im Vorfeld abweisen können. Ausserdem soll die Beweislast umgekehrt werden – der Kläger muss dann selbst nachweisen, dass seine Klage berechtigt ist. Und schliesslich soll es eine Strafandrohung gegen Kläger geben, die versuchen, Journalisten oder Aktivisten zum Schweigen zu bringen. Die Opfer sollen entschädigt werden.

Zusätzlich gab laut Deutscher Welle die Justizkommissarin den EU-Mitgliedsländern Empfehlungen. So sollen sie ihre Gesetzgebung ändern, indem sie etwa die Vorschriften gegen Verleumdung neu fassten und dafür keine Gefängnisstrafen mehr androhten. Auch sollten sie die Öffentlichkeit über das Problem aufklären und die Betroffenen bei ihrer Verteidigung unterstützen.

Die meisten SLAPP-Klagen würden jedoch innerhalb nationaler Grenzen eingereicht, laute die Kritik laut Deutscher Welle. Das schränke den Anwendungsbereich erheblich ein. Die EU-Mitgliedsstaaten müssten die Richtlinie in nationale Gesetzgebung umsetzen und über die Mindeststandards hinausgehen, um das Instrument wirksam werden zu lassen. Über den Vorschlag der Kommission müssen nun noch das Europaparlament und der Rat der Mitgliedsstaaten entscheiden.