Text / Diakonie Schweiz
"Die Lücken in der Betreuung älterer Menschen sind gross"Grundlagen für die Klärung und Umsetzung guter Betreuung älterer Menschen sind aktueller denn je, sagen sechs Stiftungen, die gemeinsam einen Wegweiser zum Thema veröffentlichen. Der Fokus auf die in erster Linie medizinisch ausgerichtete Pflege greife zu kurz.
Der Fokus auf die in erster Linie medizinisch ausgerichtete Pflege greife zu kurz, betonen die Stiftungen. Ohne intensive Betreuung sei es zum Beispiel Parkinson- oder Demenzkranken schwierig, den Alltag zu bewältigen, während viele auf eigentliche Pflege nicht angewiesen seien. Die betreuenden Angehörigen ermöglichten das Leben zu Hause.
Die Betreuung und die Pflege älterer Menschen seien neben der gesicherten Finanzierung der Altersvorsorge zentrale Themen der Alterspolitik in der Schweiz. Das Bundesgesetz zur Krankenversicherung unterscheide zwischen pflegerischen und betreuerischen Leistungen. Für die Pflege seien Leistungen definiert, die gesetzlich geregelt allen Menschen in der Schweiz zustehen. Dabei sei versäumt worden, auch die Merkmale der Betreuung näher zu definieren und ihre Finanzierung zu regeln. Der jetzt veröffentlichte Wegweiser habe sich diesem kontrovers diskutierten Thema angenommen. Darin würden sowohl die Grundlagen für die dringend notwendige Begriffsklärung als auch Leitlinien für die gute Qualität der Betreuung erarbeitet.
Gerade heute brauchen ältere Menschen gute Betreuung, so die Studie: jetzt, wo sie als Risikogruppe zu Hause bleiben, jetzt wo soziale Kontakte ebenso wichtig sind wie der Einkauf für sie. Jetzt, wo Gespräche auf Distanz über ihre Ängste und Hoffnungen, über Trauer und Trost unverzichtbar sind. Die Corona-Krise könne uns die Augen für die Bedeutung guter Betreuung im Alter öffnen. Unabhängig der Pandemie gelte: Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen immer älter würden, nehme der Betreuungsbedarf zu, sowohl Zuhause als auch in Pflege- und Altersheimen oder Spitälern. Verschärft werde diese Situation durch die Tatsache, dass immer weniger Angehörige zur Verfügung stünden, die diese Aufgabe übernehmen können.
Ein 2018 veröffentlichter Bericht habe zum ersten Mal aufgezeigt, dass der Frage nach einer guten Betreuung im Alter in der Alterspolitik mehr Beachtung zu schenken sei, ist im Vorwort zum aktuellen Bericht zu lesen. Dazu brauche es einen vertieften Dialog zwischen Fachkreisen, Altersorganisationen, Politik und interessierter Öffentlichkeit. Dieser Dialog wiederum sei erst möglich, wenn das Thema Betreuung klare Konturen erhalte. Im Auftrag der Stiftungen hat die Fachhochschule Nordwestschweiz im Wegweiser den Begriff “Betreuung im Alter” und die Anforderungen an eine qualitätsvolle Umsetzung formuliert. Sieben Leitlinien sollen aufzeigen, wie Menschen trotz Einschränkungen möglichst lange selbstbestimmt ihren Alltag gestalten können.
Gute Betreuung richtet sich demnach konsequent an den Bedürfnissen der betagten Personen aus und behält nebst dem körperlichen auch das psychosoziale Wohlbefinden im Blick. Der Wegweiser fasst Betreuung im Alter in den sechs Handlungsfeldern Selbstsorge, Alltagsgestaltung, Haushaltsführung, soziale Teilhabe, Pflege, Beratungs- und Alltagskoordination zusammen. Wichtig sei die Haltung, mit der die Betreuung erbracht oder umgesetzt werde, heisst es in der Mitteilung. Das Wie sei ausschlaggebender als das Was. Gute Betreuung definiere sich als sorgende Beziehung und als unterstützendes Handeln. Dieses wiederum orientiere sich an der Lebensgeschichte, der Lebenssituation, den Bedürfnissen und dem Wohlbefinden der betagten Person. Gute Betreuung, so die Studie, will Betagten ein sinnerfülltes und emotional stimmiges Leben ermöglichen.
Aus den Erkenntnissen des Wegweisers ergeben sich laut Studie Anhaltspunkte für die Umsetzung von Betreuung. Gute Betreuung lasse sich im professionellen Kontext allerdings nur dann realisieren, wenn Betreuung auf betrieblicher Ebene die nötige Anerkennung finde. Das lasse sich unter anderem daran erkennen, dass genügend Zeit und Raum für Betreuungsaktivitäten in den Abläufen eingeplant werde, dass Personal mit entsprechender Ausbildung vorhanden sei und dass sich der Erfolg der Institution an der Qualität der Betreuung messe.
Sich der Betreuung als eigenständige Unterstützungsform anzunehmen, widersetze sich keineswegs dem in der Care-Debatte zu Recht geäusserten ganzheitlichen Unterstützungsverständnis. Eine differenzierte Betrachtung von Pflege und Betreuung solle die beiden Dimensionen gegenseitig stärken und nicht einander wertend gegenüberstellen, betont die Studie. Um ein ganzheitliches Unterstützungsgefüge für ältere Menschen zu gewährleisten, sei es notwendig darüber nachzudenken, wie Institutionen und das Sozialsystem der Schweiz die Betreuung als integralen Bestandteil einbeziehen. Wichtig sei zudem, dass Betreuung nur in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen und im Zusammenspiel von Organisationen, Angehörigen und Freiwilligen erfolgreich umgesetzt werden könne. Als Ausdruck eines gelingenden Zusammenspiels vieler informeller und formeller Akteure, die sich der Unterstützung älterer Menschen annehmen.
Die fehlende gesetzgeberische Klärung führe zu einer äusserst unbefriedigenden Situation, heisst es. Entweder müssten die Institutionen die Kosten auf die Betagten abwälzen oder sie verzichteten auf Betreuungsarbeit. Nur wenn auch Betreuung die gebührende gesellschaftliche Anerkennung erhalte, könne die Schweiz den Menschen ein selbstbestimmtes und gesundes Älterwerden und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen.
Der Wegweiser wurde gemeinsam herausgegeben von der Age Stiftung, der Beisheim Stiftung, der MBF Foundation, Migros Kulturprozent, der Paul Schiller Stiftung und der Walder Stiftung. Swiss Foundations hat die Kooperation organisatorisch unterstützt.